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Was sind „konstruktive Nachrichten“?

Alles ist ziemlich schlimm, und alles wird noch schlimmer: Diese deprimierende Sicht der Dinge, so finden viele Menschen, vermitteln uns die Medien. Die Corona-Pandemie sei ein typisches Beispiel für den unaufhörlichen Strom an „negativen Nachrichten“. Stimmt das? Und können die Journalisten mit konstruktiv wirkenden Berichten und Geschichten gegensteuern?

Ist das Glas halb voll oder halb leer?

Es ist Montag, 21. November 2021. Ich wische auf meinem Smartphone zu den Google-News. Hier die Top-Meldung: Die Cargo-Fluggesellschaft „Cathay Pacific“ kündigt drei Piloten nach dem Flug nach Deutschland. Sie sollen bei einem Aufenthalt in Deutschland strikte Isolationsregeln… usw. (Quelle: Spiegel.de). Darunter die zweite Meldung: Kroatien: Deutscher Journalist wegen Grenzübertritt festgenommen (Quelle: welt.de). Dann die dritte Meldung darunter: Wie Putin es den Amis mal so richtig gezeigt hat. Ihr Inhalt: der durch Putin verzögerte Start des deutschen Astronauten Maurer (Quelle: t-online).

Alle drei Meldungen berichten nicht über gelungene Taten und erfreuliche Ereignisse, sie haben vielmehr eine negative Färbung. Ist dieser Hang zum Negativen typisch für unsere Medien? Wird er von der Nachrichtenauswahl der Aggregatoren – hier: GoogleNews – sogar noch verstärkt? Viele Menschen sind der Ansicht, dass die Medien immer nur das Negative herausstellen und die positiven Ereignisse gar nicht oder nur „ganz klein“ bringen. Ist das so?

Um diese Ansicht näher zu prüfen, sind ein paar Überlegungen über die Funktion des Nachrichtenjournalismus hilfreich. Als Neuigkeit haben die Menschen schon immer solche Nachrichten aufgenommen, die über etwas Unerwartetes, Überraschendes berichten, aber auch über Vorfälle, die auf Risiken und Gefahren verweisen. Im späten Mittelalter waren es oftmals Nachrichten über Räuberbanden oder unwegsame Straßen, die von den Gewerbetreibenden und den Händlern in der Stadt begierig aufgenommen wurden. Attraktiv waren aber auch Nachrichten über verrückte Ereignisse – und sind es noch heute. Im amerikanischen Journalismus gibt es hierzu die Formel „man bites dog“, soll heißen: Dass ein Hund einen Mann beißt, ist quasi normal, weil es immer wieder vorkommt, also keine Nachricht. Aber wenn ein Mann einen Hund beißt, ist das sehr ungewöhnlich und darum eine News. Natürlich ist der Spruch als Sinnbild gemeint. 

Aber das ist nur ein Aspekt. Schon die Flugblätter im späten Mittelalter, dann die Tageszeitungen (die erste erschien 1650 in Leipzig) boten in erster Linie Nachrichten über militärische Vorgänge sowie Mitteilungen der Fürsten und der Obrigkeit, ergänzt mit ganz unpolitischen Geschichten (meist Gerüchte) aus dem Leben der Eliten. In den folgenden Jahrhunderten nahmen Informationen aus und für die Wirtschaft deutlich zu. Im 19. Jahrhundert erblühte zudem das Feuilleton, ein Ressort, wo Rezensionen, aber auch Kurzgeschichten und Essays publiziert wurden. Das waren natürlich keine „negativen Nachrichten“, sondern informierende Berichte. Erst im späten 19. Jahrhundert nahm in den Zeitungen der Großstädte der Umfang an Nachrichten über Kriminalität und Justiz deutlich zu – auch deshalb, weil sich die Straßenverkaufszeitungen besonders gut verkauften, wenn ihre Schlagzeilen über Verbrecher, über schlüpfrige Geschichten und über Justizskandale Schlimmes verkündeten. Es war die Geburtsstunde des Boulevardjournalismus, der die Nachrichtenauswahl in den Dienst des Verkaufserfolgs stellte. Und schlechte Nachrichten verkaufen sich nun mal besser als gute.

So gesehen hing der Eindruck, die Newsmedien berichten vor allem über Negatives, stark mit der Aufmachung zusammen: Das Schreckliche zuerst, das Erfreuliche kommt meist später (Rundfunk) oder weiter hinten (Zeitung). Diese Präsentationsweise prägte auch die Wahrnehmung der Leser, der Zuschauer und Hörer. Man sucht vor allem nach schlimmen, aufregenden News und weniger nach den erfreulichen. Immer wieder wurden die Inhalte der Tageszeitungen danach analysiert, wie viele erfreuliche (positive), wie viele unerfreuliche (negative) und wie viele neutrale Nachrichten angeboten werden. Das Ergebnis: Der überwiegende Teil der News ist weder positiv noch negativ, sondern neutral (Beispiele: Öffnungszeiten des Impfzentrums, Börsenkurse des DAX, die Theaterpremiere, zwei Straßensperrungen, das Fußballspiel, Stellungnahme der Ministerin). Vor allem die lokalen Nachrichten der Tageszeitungen (ob als Zeitung oder als App) zeigen kaum Verzerrungen zum Negativen, sondern bringen viele positive Berichte über Unternehmen, Dienstleister, Veranstalter und sonstige Akteure.

Dennoch fanden verschiedene Publizisten, die Medien würden vor allem in der Inland- und Auslandberichterstattung ein allzu düsteres Bild vom Zustand der Welt zeichnen. Es war der dänische Journalist Ulrik Haagerup, Inlandchef des dänischen Rundfunks, der 2017 das Konzept des „Constructive Jorunalism“ entwickelte. Er kam zur Auffassung, dass viele Journalisten allzu einseitig berichten. Sie würden oftmals ihren vorgefassten Ansichten folgen und solche Quellen und Akteuren suchen, die sie darin bestätigen. Guter, „konstruktiver“ Journalismus bedeute demgegenüber, dass die für die Menschen naheliegenden Fragen aufgegriffen und Antworten recherchiert werden. Häufig sind es Fragen und Antworten, die sich um die Lösung eines Problems drehen und nicht darum, wie das Problem noch problematischer dargestellt werden kann. Haagerups Ansatz fand großen Anklang.

Inzwischen haben verschiedene Medienredaktionen ihre Mitarbeiter geschult, um den „konstruktiven Journalismus“ umzusetzen. Beispielsweise in den Lokalredaktionen der Sächsischen Zeitung. Deutlich weiter geht die Deutsche Welle; dort wurde ein Team aufgebaut, das den Redakteuren zeigt, wie sie aktuelle Themen lösungsorientiert anpacken. Im Spätherbst 2021 erläuterte die Teamleiterin dieses Konzept am Beispiel Corona-Impfung: „Entstanden ist ein Video, in dem es um die Frage ging: ‚Warum ist Spanien eigentlich so weit vorne, was die Durchimpfung der Bevölkerung gegen Corona angeht?‘ Dieses Video hatte alle Merkmale von gutem Lösungsjournalismus. Also: ‚Was ist das Problem? Wie haben die das eigentlich gemacht? Wo sind die Daten, die das nachweisen? Und was funktioniert noch nicht so gut?‘ Bei Lösungsjournalismus ist es ganz wichtig, dass man nicht so tut, als ob irgendwo ein Allheilmittel gefunden wäre. Jede Lösung hat immer noch Probleme. Dinge, die eben nicht hundertprozentig funktionieren. Es ist wichtig, dass man die benennt, um seriösen Journalismus zu machen.“  

Ist dieser Journalismus auch erfolgreich? Im Internet können die Medienmacher messen, wie viele Nutzer ihre jeweiligen Nachrichten, Berichte und Geschichten aufgerufen, gegebenenfalls auch gelesen haben. Die Verfechter:innen des „konstruktiven Journalismus“ verweisen auf Nutzungsdaten, die den Erfolg dieses Konzepts belegen.  Das Video über die Impfmaßnahmen in Spanien, so die DW-Sprecherin, sei überraschend erfolgreich gewesen, der Beitrag habe nach kurzer Zeit fast eine Million Aufrufe erzielt.

Michael Haller / 23.11.2021 

Quellen / Literaturhinweise:

Dulinski, Ulrike (2003):  Sensationsjournalismus in Deutschland. Konstanz: UVZ

Haagerup, Ulrik (2018): Konstruktiver Journalismus (Vortrag), abzurufen unter: https://www.thinkwithyourheart.site/post/2018/06/29/konstruktiver-journalismus-von-ulirk-haagerup (Abruf: 21-11-21)

Heinrich, Ellen (2021): „Deswegen lohnt es sich, in konstruktiven Journalismus zu investieren“, auf: https://meedia.de/2021/11/10/deswegen-lohnt-es-sich-in-konstruktiven-journalismus-zu-investieren/ (Abruf: 21-11-21)

Ruhrmann, Georg, Jens Woelke, Michaela Maier, Nicole Diehlmann (2003): Der Wert von Nachrichten im deutschen Fernsehen. Ein Modell zur Validierung von Fernsehnachrichten. Opladen: Leske+Budrich

Wilke, Jürgen (2000): Grundzüge der Medien- und Kommunikationsgeschichte – Von den Anfängen bis ins 20. Jahrhundert. Köln: Böhlau

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